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City of the dead, city of the living

STADT DER TOTEN, STADT DER LEBENDEN

Rainer Krispel ist Punk, Musiker und Autor - und jetzt auch Trauerredner.

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© Sophia Keyn

Seit ein paar Wochen trägt Rainer Krispel einen Kamm bei sich. Er hat immer noch in Erinnerung, wie er sich als Jugendlicher auf der Autofahrt mit seiner Mutter gestritten hatte, als sie zum Begräbnis der Großmutter gefahren waren. Krispel war in „leicht kultivierter Punker-Tracht“, also auch ungekämmt, erschienen, wie er erzählt. „Das hat meine Mutter erbost, was ich heute durchaus verstehe.“

Heute will Krispel auf Begräbnissen niemanden mehr provozieren. Im Gegenteil. Er will als Trauerredner die Angehörigen der Toten dabei unterstützen, durch die schwere Zeit zu kommen. Dafür kämmt sich auch ein Punk.

Schwarzes Sakko, schwarze Hose. Krispel kommt gerade vom Hernalser Friedhof. Sieben Menschen hat er diese Woche schon verabschiedet, sieben Reden geschrieben, sich in sieben Biografien hineinversetzt und den Erzählungen der Angehörigen ge- lauscht. Schließlich entsteht ein Text, in dem Krispel das Leben des Verstorbenen für die Angehörigen noch einmal fassbar machen, es in seiner Einzigartigkeit und Wichtigkeit erzählen will.

Empathie, Emotion und Verlässlichkeit muss er dafür aufbringen. Auf dem Friedhof will niemand überrascht werden. Bisweilen übergeben die Hinterbliebenen Krispel auch schon fertig geschriebene Texte, die sie ihn vorzutragen bitten. Meistens in der Verab- schiedungshalle, manchmal auch am Grab.

Ende 2020 begann Krispel mit seiner Tätigkeit als Trauerredner. Die Coronapandemie erleichterte ihm die Entscheidung, da vieles, womit er seinen Lebensunterhalt verdient hatte, nicht mehr möglich war. Aber ausschlaggebend war sie nicht. Dass er nun Trauerreden hält, erscheint nur auf den ersten Blick ungewöhnlich.

Rainer Krispel wurde 1967 in Linz geboren, er war Sänger der Punkbands Target Of Demand und Seven Sioux, mit denen er europaweit Konzerte spielte. 2012 veröffentlichte er den autobiografisch angehauchten Roman „Der Sommer, als Joe Strummer kam“ über den Punk Gustav. Krispel moderiert Veranstaltungen und schreibt unter anderem als Musikjournalist. Zuletzt war er Obmann der Arena und arbeitete in einem Plattengeschäft. „Damit war meine subkulturelle Biografie komplettiert.“

GESPÜR FÜR DEN RICHTIGEN TON

Er wollte etwas Neues finden. Und Trauerredner sei gar nicht so weit weg von seinen bisherigen Tätigkeiten, meint Krispel und schmunzelt. Auch hier gehe es um eine gewisse Inszenierung und Performance sowie die richtigen Worte. Dass er all das beherrscht, hat er in unzähligen Konzerten, Texten und Ansprachen bewiesen. Ob er nun als Sänger einer Punkband seine Botschaft hinausbrüllt, die Protagonisten des jährlich stattfindenden Akkordeonfestivals vorstellt oder im „Augustin“ lokale Musikschaffende porträtiert – Krispel hat ein Gespür für den richtigen Ton. Und nirgendwo ist dieser wichtiger als an einem offenen Grab.

Erste Nachrufe schrieb Krispel in seiner Schulzeit. Ein Kollege beging Suizid, ein anderer wurde bei einem Unfall getötet. Als in den letzten Jahren drei enge Freunde von ihm starben, ließ ihn das Nachdenken über den Tod nicht mehr los. „Plötzlich habe ich so einen Lebenshunger verspürt, aber auch Panik. Was wäre, wenn ich jetzt auch ganz schnell gehen muss? Das hat mir das Thema sehr nahegebracht.“ Auch für seine Freunde hielt Krispel die Trauerreden. Nach einem Begräbnis fragte ihn der Bestatter, ob er das auch für Menschen machen würde, die er nicht kennt.

Krispel überlegte, hatte Sorge, dass es ihn emotional zu sehr mitnehmen würde. Er trat in Kontakt mit dem Südtiroler Trauerredner Hannes Benedetto Pircher, der bisher schon über 5000 Menschen verabschiedet hat. „Es war ein sehr lebensbejahendes Gespräch“, erinnert sich Krispel. Pircher wurde sein Mentor und stellte den Kontakt zur Agentur her, die Krispel nun die Aufträge vermittelt.

WIR LEBEN, UND DARUM GEHT’S

Schon in den Monaten davor führten ihn seine Spaziergänge oft auf den Friedhof in Ottakring, der an einem Hang des Wilhelminenbergs liegt. „Der Blick dahinunter ist sehr beruhigend. Die Stadt der Toten geht über in die Stadt der Lebenden, das gehört zusammen“, sagt Krispel. Auch die goldene Jesusstatue dort gefiel ihm. „Dieser Jesus ist so wichtig, weil er sich nicht so wichtig nimmt. Ein echter Ottakringer Jesus.“

Krispel selbst ist nicht gläubig. Auch die Begräbnisse, bei denen er spricht, sind meist nicht religiös. „Manchmal wollen Menschen aber trotzdem, dass ich ein Gebet spreche, was ich natürlich tue.“ Während etwa im Christentum die Auferstehung zentral ist und bei Begräbnissen mit dem Glauben an ein Leben nach dem Tod Trost gespendet wird, bleibt aus weltlicher Sicht vermeintlich nur der Tod. Oder eben das Leben im Hier und Jetzt. „Wichtig ist mir immer zu betonen, wie wichtig das Leben des Verstorbenen und die Zeit mit ihm war und wie wichtig das Leben überhaupt ist“, sagt Krispel und zitiert sein Idol Joe Strummer (1952–2002) von der britischen Punkband The Clash: „We are alive. And that’s the one.“ Wir leben, und darum geht’s.

Die Coronapandemie hat nicht nur das Sterben verändert, sondern auch die Rituale um das Begräbnis. Jene, die gehen, sind oft allein und isoliert, und jene, die sich von ihnen verabschieden wollen, dürfen nicht auf den Friedhof kommen, weil die Anzahl der zugelassenen Personen beschränkt ist. Auch das Zusammensein danach in großer Runde bleibt aus. Dabei gehört der „Leichenschmaus“, ein oft seltsam anmutendes Ritual, zu den heilsameren Momenten der Trauer.

Wie über Corona und die Menschen, die am oder mit dem Virus sterben, öffentlich gesprochen wird, macht Krispel wütend. Wenn etwa der Tod älterer Menschen abgetan wird, die ja ohnehin nicht mehr lange zu leben gehabt hätten. „Geht’s noch?“, ruft Krispel aus. „Diese Verrohung ist unglaublich. Jedes Leben ist zu verteidigen, weil wir Menschen sind. Jedes Leben ist zu bewahren, und wir haben uns gefälligst solidarisch zueinander zu verhalten. Da ist Trauerrednersein auch eine radikalisierende Tätigkeit. Jeder Verlust ist furchtbar. Das erlebe ich. Und die wahrscheinlich unveränderlich schlimmste Seite an meiner Tätigkeit ist der Schmerz der Hinterbliebenen.“

Was an seinem eigenen Grab einmal gesprochen wird, ist Rainer Krispel nicht so wichtig. Aber die Musik dafür hat er schon ausgewählt: „Straight to Hell“ von The Clash. „Es soll eine richtige Feier sein.“

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