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Culture Zone Zeitung Hamburg

St. Pauli Kurzgeschichte

Modern und kunterbunt, manchmal auch düster und dreckig doch eines ist sicher, St. Pauli ist ein super spannendes Viertel, nicht nur für Besucher.

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© Christian Perl

St. Pauli – eine kurze Kiezgeschichte

St. Pauli ist seit seiner Entstehung ein aufständisches Viertel. Einst vor den sicheren Toren Hamburgs gelegen, war es Heimat derjenigen, die sich ein Leben im Schutz der Stadtmauern nicht leisten konnten oder deren Berufe wenig angesehen waren. Heute ist St. Pauli noch immer aufständisch, und noch immer wird hier Berufen nachgegangen, die eher hinter verschlossenen Türen stattfinden. Dennoch ist das Viertel einem stetigen Wandel unterworfen und trägt jedes Jahrzehnt ein neues Gesicht – momentan ist es überregional besonders als Vergnügungsviertel bekannt. Doch unter dieser Maske sind noch viele weitere Gesichter verborgen.

Der „Kiez“ entsteht

Im Nordosten Deutschlands wurden mittelalterliche Dienstsiedlungen als „Kiez“ bezeichnet. Mit den Veränderungen der Viertel bis heute wandelte sich auch der Begriff. Heute wird „Kiez“ in Hamburg synonym für das Rotlichtviertel rund um die Reeperbahn verwendet. Ironischerweise begann die Besiedlungsgeschichte der Gegend rund um die heutige „sündigen Meile“ mit der Errichtung eines Klosters um 1250 n. Chr, das allerdings nur ein paar Jahrzehnte nahe dem heutigen Fischmarkt stand. Mitte des 15. Jahrhunderts diente das Gebiet der Frau des damaligen Hamburger Bürgermeisters zum Wäsche aufhängen; im 16. Jahrhundert entstand die Fischer- und Handwerkersiedlung Altona „all to nah“ (= allzu nah an Hamburg) direkt an der Grenze zu Hamburg – das heutige St. Pauli bildete damals die Grenze zwischen der Hansestadt und der zeitweise zu Schweden und Dänemark gehörenden Siedlung Altona.

Im 30-jährigen Krieg (1618-48) wurden um die Hamburger Alt- und Neustadt schwere Wallanlagen zum Schutz der Bevölkerung errichtet – die Stadtteile Eimsbüttel, Rotherbaum, St. Georg und der Hamburger Berg (das heutige St. Pauli) befanden sich jedoch nicht innerhalb der schützenden Mauern. Wer es sich leisten konnte, zog in die Stadt, die „Unerwünschten“ – Gastwirte, Prostituierte, Amüsierbetriebe und gern geschätzte Institutionen wie der „Pesthof“ – mussten draußen bleiben. Die gestützte Innenstadt wurde jedoch immer stärker besiedelt, sodass viele Betriebe in der Zeit nach dem Krieg ebenfalls auf den Hamburger Berg zogen.

Ab 1630 verlegten auch die Reepschläger und Seilermacher ihr Geschäft auf den heutigen Kiez. Die ursprünglich als „Altonaer Allee“ bekannte Reeperbahn bekam durch die Seilemacher ihren Namen, ebenso die parallel zur Reeperbahn liegende „Seilerstraße“. Im 17. und 18. Jahrhundert besiedelten immer mehr Amüsierbetriebe den Hamburger Berg und die Gegend wurde ein beliebtes Ausflugsziel für viele Hamburger.

1814 brannten die Franzosen ca. 700 Gebäude und Buden auf dem Hamburger Berg ab. Nachdem Napoleons Truppen abgezogen waren, musste das Viertel neu errichtet werden. Es wurde ab 1833 „Vorstadt St. Pauli“ genannt und 1894 zu Hamburg eingemeindet. 1886 fand die erste Fischauktion statt – der heute immer sonntags früh stattfindende Fischmarkt ist eines der Markenzeichen des Viertels.

Schon zu Zeiten des Hansebundes hatte Hamburg sich zum wichtigsten Nordseehafen der Handelsstädte entwickelt. In der Speicherstadt konnten Handelsgüter zollfrei gelagert, weiterverarbeitet und veredelt werden; der Hafen war ein wichtiger Knotenpunkt für den Handel mit Waren aus aller Welt: Gewürze, Getreide, Tuch, und Pelze wurden hier angeboten, ebenso Hamburgs wichtigster Exportartikel: das Bier. Mit steigendem Welthandel wurde auch der Hafen weiter ausgebaut; viele Seeleute gingen an Land und mit ihrer steigenden Zahl wurde auch der Amüsierbetrieb stark ausgeweitet – die vorher insbesondere auf dem namensgebenden Spielbudenplatz aufgebauten Buden wurden durch feste Häuser (Theater, Zirkusse, Kneipen, Bordelle…) ausgetauscht. Seit dem 19. Jahrhundert ersetzten die Zuhälter nach und nach die Kupplerinnen, die damals Zimmer an Prostituierte verliehen.

Der neue „Kiez“

Im multikulturellen St. Pauli gab es Anfang des 20. Jahrhunderts ein kleines Chinatown, dessen Bewohner im 2. Weltkrieg verhaftet und zu Zwangsarbeit gezwungen wurden. Im 2. Weltkrieg wurden viele Gründerzeithäuser zerstört; das Viertel musste erneut teilweise wiederaufgebaut werden.

In den 50er und 60er Jahren erlebten Revuetheatern und Tanzcafés einen neuen Aufschwung, die Reeperbahn wurde wieder zur Partymeile. Viele englische Musikgruppen traten auf – z.B. die Beatles. Der Kiez wurde vermehrt Schauplatz für Machenschaften sich abwechselnder Zuhälterbanden: in den 70er Jahren war Wilfried „Frieda“ Schulz der „Pate von St. Pauli“ – er hielt inoffizielle, aber von den Bewohnern respektierte Gerichte ab und war damit informeller Regent des Rotlichtviertels.

Abgelöst wurde er Ende der 70er Jahre von der „Nutella-Bande“ und der „GmbH“. Die auch als „Luden“ oder „Loddel“ bekannten Zuhältertrupps bauten sich regelrechte Bordell-Imperien auf, lebten in Saus und Braus, trugen Maßanzüge, tranken Champagner und fuhren teure Autos.

In den 80er Jahren, in denen Autonome die Häuser in der Hafenstraße und die Rote Flora besetzten, kursierten vermehrt Drogen im Viertel. Einige Kiezgrößen fielen dem Kokain zum Opfer. In den 70er und 80er Jahren arbeitete die Prostituierte „Domenica“ auf dem Kiez, trat in den Medien für die Legalisierung ihres Berufes ein und avancierte bald zur berühmtesten Hure des Landes.

Bis in die 90er Jahre war St. Pauli eines der ärmsten Viertel in ganz Europa. Das traditionell linke Viertel (die Linke wird heute von den Bewohnern zu 30 Prozent, die AFD nur zu 3 Prozent gewählt) erlebt jedoch einen starken Strukturwandel, da die Mieten des beliebten zentralen Viertels seit Jahren stark steigen. Noch immer ist St. Pauli ein Amüsierviertel – doch die Menschen, die es geprägt haben, können sich immer weniger leisten, dort zu leben.

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