A garden on concrete
Der Bunker wächst: Fünf zusätzliche Stockwerke sollen dem Betonklotz in Hamburgs Stadtteil St. Pauli aufgesetzt werden, mit Dachgarten und Raum für Kulturschaffende. Letztere bespielen den Bunker allerdings schon lange - und nicht alle sind glücklich mit dem Umbau. Eine kleine Bestandsaufnahme.
Der Bunker auf St. Pauli: Vom Luftschutzraum zum Place To Be
In keiner anderen Stadt errichtete das nationalsozialistische Regime so viele Bunker wie in Hamburg. Der wohl berühmteste unter ihnen steht an der Feldstraße auf St. Pauli. Sein Anblick: ehrfurchtgebietend. 40 Meter hoch, 75 Meter breit. Ein Monstrum aus Stahlbeton, dessen Architektur die Macht und Brutalität der NS-Regierung propagierte.
Während des Zweiten Weltkriegs diente der Hochbunker als Gefechtsturm und Luftschutzraum. Heute beherbergt er Kreativschulen, Kulturzentren und einen Nachtclub. Mag sein Innenleben vor Kreativität und Lebenslust flimmern, haftet der Fassade doch weiterhin die beklemmende Aura seiner nationalsozialistischen Vergangenheit an: Als kilometerweit sichtbares Mahnmal erinnert das Gebäude an die dunklen Tage der (Nach-)Kriegszeit – bis jetzt. Denn seit 2019 laufen Bauarbeiten am Bunker. Und diese verändern seine Gestalt massiv.
Graue Riese mit grüner Mütze
Thomas Matzen, Investor und Pächter des Bunkers, lässt das knapp vierzig Meter hohe Gebäude um fünf pyramidenartige Geschosse aufstocken. Ein Hotel mit Coffeeshop und Restaurant sowie Räume für Stadtteilkultur entstehen hier. Zusätzlich zieht eine Halle für
Sport- und Kulturveranstaltungen in den Neubau. Eine Gedenkstätte für die Opfer des NS-Regimes und ein achthundert Quadratmeter großer Dachgarten mit Panoramablick runden das Konzept ab. Die Grünfläche wird öffentlich zugänglich sein. So ist zumindest der Plan.
Der Bau ist umstritten, seit erste Entwürfe dafür auftauchten. Die Lager sind gespalten – sowohl bei Politiker*innen, den Mieter*innen im Bunker, als auch bei den Anwohner*innen aus den umliegenden Vierteln.
Während manch eine*r das Projekt als Bereicherung für St. Pauli bejubelt, befürchten einige, der zwanzig Meter hohe Aufbau könne den umliegenden Häusern jegliches Tageslicht oder dem Bunker seinen mahnenden Charakter rauben. Andere bangen, dass das Projekt Nachteile für die aktuelle Mieterschaft mit sich ziehen könnte.
Bässe statt Bomben
Seit der Nachkriegszeit ist der Bunker ein Zentrum für Unternehmen aus der Medien-, Kreativ und Kulturszene: Medienmogul Axel Springer hatte hier sein erstes Redaktionsbüro; der Norddeutsche Rundfunk sendete von 1952 bis 1955 ein regelmäßiges TV-Programm aus dem Bunker in die deutschen Wohnzimmer und Fernsehstuben. Und von den 70ern bis in die 90er Jahre betrieb Fotografie-Ikone Franz C. Gundlach hinter den Betonmauern eine der ersten Fotogalerien Deutschlands.
Heute beherbergt der Bunker dutzende Proberäume für Musik- und Theatergruppen. Kreativschulen bilden ihre Studierenden in den ehemaligen Luftschutzräumen aus. Im “Resonanzraum” im ersten Obergeschoss residiert und musiziert das Kammerorchester “Ensemble Resonanz”. Der Internet-Radiosender “Byte.FM” produziert drei Stockwerke darüber sein Programm.
Auf derselben Etage befindet sich auch das “Uebel und Gefährlich”: ein Club, den die Gäste über einen alten Lastenfahrstuhl erreichen. Früher transportierte der Aufzug Munition, nun Konzertgänger*innen und Tanzwütige. Im Uebel und Gefährlich finden abends Konzerte und Lesungen statt, an Wochenendnächten windet sich internationales Partypublikum im Strobolicht.
Dort wo im Zweiten Weltkrieg Bomben die Wände zum Beben brachten, lassen nun wummernde Bässe schwitzende Körper vibrieren. Für Stefanie Hochmuth, die den Club leitet, bildet das keinen Widerspruch: "Gebaut für den Zweiten Weltkrieg ist der Bunker für uns heute eine Heimstätte der Emotionen, Ekstase und Kreativität, ein Freiraum, Zufluchtsort und eine Oase des Schaffens.” Der nationalsozialistischen Vergangenheit der Gemäuer setzt der Club Respekt und politische Korrektheit entgegen: “Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Homophobie haben hier keinen Platz.“
Es regnet von der Decke
Die bunte Mischung aus den vielen kleineren und größeren Kultur- und Medienunternehmen lockt Jahr für Jahr tausende Hamburger*innen und Tourist*innen in die Eingeweiden des Bunkers.
Zum Start der Aufstockung versicherte Matzen den Mieter*innen: Kein Grund zur Sorge. Er würde niemanden rauswerfen. Sowieso könne alles weiterlaufen, wie gewohnt. Natürlich wäre tagsüber mit Baulärm zu rechnen. Doch der Betrieb im Bunker solle nicht beeinträchtigt werden. Ein leeres Versprechen.
Bereits zu Beginn der Arbeiten brachen Teile des Dachs ab. Um Passant*innen vor herabfallenden Trümmern zu schützen, errichtet die Baufirma Tunnel aus Gerüsten und Planen rund um den Bunker – zum Unmut der Mieterschaft. Die Konstruktion blockierte Parkplätze und Lieferwege.
Als die Bauarbeiter*innen im Frühjahr 2019 die Dachpappe entfernten, floss Regenwasser durch Wände und Decken bis in die mittleren Geschosse. Überall waren Pfützen. Damit Technik und Instrumente nicht absaufen, musste die Punkband “Die Goldenen Zitronen” ihr Konzert im Uebel und Gefährlich unter Regenschirmen spielen.
Abwarten und Bäume ziehen
Trotz allem halten sich die Mieter*innen im Bunker bedeckt: Aus Angst vor einer Kündigung möchte sich niemand zum Projekt äußern.
Bald sollen die Bauarbeiten abgeschlossen sein. Bis dahin bleibt abzuwarten: Gibt es ein Happy End für alle betroffenen Parteien oder endet das Bauprojekt für einige als Desaster?
Während wir uns in Geduld üben, sprießen in einer Baumschule im Hamburger Süden bereits die Pflanzen für den Dachgarten. Grün wird der Bunker also in jedem Fall.
1940
Als Reaktion auf alliierte Luftangriffe in Berlin befiehlt die NS-Regierung den Bau von Flaktürmen in Berlin, Hamburg und Wien.
1942
Über tausend Zwangsarbeiter*innen ackern dreihundert Tage, dann ist der Flakturm an der Feldstraße fertig. Von hier aus soll das Militär unter anderem die U-Boot-Werften im Hafengebiet verteidigen.
1943
In der Nacht auf den 25. Juli starten die Alliierten eine Reihe von Luftschläge auf Hamburg. Die Serie dauert an bis zum 3. August. Sommerhitze und Explosionen entfachen ein Inferno, das Häuser, Straßen und Menschen verschlingt. Rund 40.000 Hamburger*innen verlieren ihr Leben. Im Bunker an der Feldstraße finden währenddessen etwa 25.000 Menschen Schutz.
1945
Der Zweite Weltkrieg ist vorbei und die Besatzungsmächte leiten die “Entnazifizierung” ein: Sie wollen Deutschland von allen nationalsozialistischen Einflüssen befreien. Auch der Bunker auf St. Pauli soll verschwinden. Die Alliierten müssen jedoch erkennen, dass sie bei einer Sprengung die umliegenden Wohnhäuser beschädigen würden. Der Turm darf bleiben.
1946
Axel Springer eröffnet seine erste eigene Redaktion in einem der oberen Stockwerke des Bunkers. Der Strom fällt regelmäßig aus. Bei Kerzenlicht tippen er und sein Team an geliehenen Schreibmaschinen – Springer besitzt nicht genug Geld, um welche zu kaufen. Der Erfolg seiner Zeitschrift „Hörzu“ ebnet dem Verleger nach wenigen Monaten den Weg zu eigenen Arbeitsgeräten und einem Umzug in komfortablere Büroräume.
1949 – 1955
1949 bezieht der NDR Räume im Leitbunker. Zwei Jahre später kommt ein Studio im Gefechtsturm hinzu. Hinter Betonmauern erstellen die Mitarbeiter*innen Testbilder und -sendungen. Von 1952 bis 1955 sendet die Rundfunkanstalt ein TV-Programm von der Feldstraße in die deutschen Wohnzimmer. Mit dabei ist eins der wohl bis heute bekanntesten NDR-Formate: die “Tagesschau”.
1973
Der Leitturm muss 1973 einem Neubau der Deutschen Bundespost weichen.
1975 - 1992
Der Modefotograf und Kurator Franz Christian Gundlach eröffnet im Flakturm eine der ersten Galerien für Fotografie in Deutschland. Hier präsentiert er Werke von internationalen Künstler*innen. Bis zur Schließung der Galerie im Jahr 1992 locken Gundlachs Ausstellungen unzählige Kulturinteressierte in den alten Bunker.
1993
Der Investor Thomas Matzen erwirbt für einen Zeitraum von sechzig Jahren das Erbbaurecht für den Flakbunker an der Feldstraße. Dafür zahlt er sechs Millionen Deutsche Mark an Hamburg.
2019
Die Aufstockung des Bunkers beginnt.
Flakbunker in Wien
Auch in Wien errichtet das NS-Regime Flakbunker: Im Arenbergpark, im Auergarten und in der Stiftskaserne bzw. im Esterházypark findet ihr Bunkerpaare aus je einem großen Gefechts- und einem kleineren dazugehörigen Leitturm. Der Leitturm im Esterházypark beherbergt seit 1958 den Wasser-Zoo „Haus des Meeres“.