Das Thalia-Theater – eine Muse für Hamburg

Thalia („die Blühende“) – das ist die Muse der komischen Dichtung und Unterhaltungskunst und eine der drei Grazien (römische Mythologie) oder Chariten (griechische Mythologie). Die Drei waren Töchter des Göttervaters (Jupiter bzw. Zeus) und sollten Menschen und Göttern Anmut, Schönheit und Festesfreude bescheren. In Hamburg gibt Thalia nicht nur einer Buchandlungskette den Namen, sondern auch einem der drei Staatstheater.

Das Thalia Theater hat zwei Häuser; das Große Haus am Alstertor nahe des Jungfernstiegs fasst etwa 1000 Zuschauer, (darüber liegt die kleine Spiel-Konzert- und Lesungsstätte Nachtasyl) und das kleine Haus in der Gaußstraße in Altona etwa 200.

Das große Haus
Das große Haus am Alstertor
Nachtasyl / Foto: Copyright Fabian Hammerl
Nachtasyl / Copyright Fabian Hammerl

Das Repertoire umfasst sowohl Klassiker der Antike als auch zeitgenössische Themen. Schon das mutige, unübersehbare Grafikdesign, das nur mit einer Handschriftlichen Antiqua auskommt, wobei die Titel der Stücke wild getrennt werden, lockt die Besucher mit Moderne, Mut, Originalität und Regelbrüchen.

Das Thalia Theater arbeitet mit internationalen Theatergrößen zusammen, verfügt über ein starkes Ensemble und veranstaltet zusätzlich zum Spielplan mit etwa 15 Premieren pro Spielzeit (beide Häuser) jedes Jahr Ende Januar/Anfang Februar das internationale Theaterfestival „Um alles in der Welt – Lessingtage“. Das Festival hat jährlich einen neuen, aber immer interkulturellen Schwerpunkt. 2019 soll es unter dem Motto HEAR WOR(L)D! um Stimmen gehen, die gehört werden wollen.

Your Love Is Fire / Foto: Gianmarco Bresadola
Lessingtage 2019: Your Love Is Fire / Foto: Gianmarco Bresadola

In den letzten Wochen habe ich zwei Stücke des Thalia Theaters besucht: Panikherz im Großen Haus und Im Herzen der Gewalt im Thalia Gaußstraße.

Wenn man ein Baby hat, sind Theaterbesuche relativ zu vorangegangenen Kinderlosigkeitszeiten limitiert; man richtet die Sinne mit einer neuen, gierigen Offenheit auf alles Kulturelle, auf jeden Weg durch regennasse Winterstraßen hin zum Kulturellen, auf jede Pause während des Kulturellen. So erlebte ich das Stück Panikherz, in dem autobiografische Erzählungen von Benjamin von Stuckrad-Barre auf die Bühne gebracht werden, auf verschiedenen Ebenen sehr dicht: während die Hauptperson auf der Bühne, gehetzt und getrieben von Erfolg, von Mager-, Alkohol-, und Drogensucht, durch ein wildes Leben jagte, dachte ich an meine Welt der Vorsinglieder-Loops, der Rückenschmerzen, des zahnlosen Lachens und der kleinen Hände, die Hier! Hier! schreien. Während auf der Bühne von Nebelschwaden umhüllte und von Licht hinter der Bühne zu bewegten Schattenrissen reduzierte Personen durch auf Mikrofonständer platzierte, plötzlich eingschaltete Lichter grell und farbig wurden, ein Gesicht bekamen und immer verzweifelter zu zerbröckelnder Musik tanzten, fragte ich mich, wann ich das letzte Mal ein Glas Wein getrunken habe. Als der Protagonist kurz vor der Pause in einem völlig verkommenen Hotelzimmer im ebenso verkommenen Zustand von seiner Familie zumindest finanziell gerettet wurde, war ich seltsam gerührt. Während ich noch in der Pause diese Stimmung zu fassen versuchte, dabei an eigene wilde Zeiten, an Familiengeborgenheit, an Sinngebendes, an den Sog düsterer Innen- und Außenwelten, an Eskapismus, an das Heilende in der Verantwortung, an die Wonne in der Melancholie und Selbstzerstörung dachte, vibrierte mein Handy: Baby hat hohes Fieber. Raus aus dem Theater, nasse Straßen, Bahn, Bus. Aufgeregte kleine Familie, Baby erholt sich, Dankbarkeit. Das Echte nach der Pause und das Gespielte vor der Pause ergaben einen dichten Abend und reflektierten einander.

Panikherz
Panikherz

Das Stück Im Herzen der Gewalt läuft aktuell im Thalia Gaußstraße. Das Theater hat 3 kleine Bühnen, die über einen halb gemütlichen, halb industriell wirkenden Hinterhof zugänglich sind. Eine große Aufschrift auf einer Häuserfassade lockt den Besucher schon von weitem; allerdings ist der Eingang zum Hof im Dunkeln für Ortsunkundige nicht immer sofort zu finden – plant also bei einem Besuch ruhig ein paar Minuten Zeitpuffer ein. Inhaltlich hat es auch Im Herzen der Gewalt in sich: es geht um die Umsetzung des autobiografischen, gleichnamigen Romans des homosexuellen französischen Schriftstellers Édouard Louis. Der Erzähler begegnet an einem Weihnachtsabend einem Algerier, nimmt ihn mit zu sich nach Hause und erlebt eine romantische Nacht mit ihn, die sich jedoch zu einem Albtraum entwickelt: nach einem Streit, ausgelöst dadurch dass der Mann offensichtlich stiehlt, vergewaltigt der Fremde den Erzähler und versucht, ihn zu töten. Das Stück thematisiert wie der Roman den gesellschaftlichen Umgang mit dem Verbrechen, mit Stigmatisierung und Rassismus, die Veränderung der Wahrheit je nach Erzähler, die inneren Nöte und die Angst, in einem Strudel der Gewalt gefangen zu sein. Ein berührendes Kammerspiel zu einem Thema, das angesichts der aktuellen Entwicklungen in Europa noch an Brisanz gewinnt.

Ich wünsche Euch, liebe Gäste, großartige Unterhaltung im Thalia Theater und in Hamburg und bedanke mich beim Thalia Theater für die freundliche Zusammenarbeit!

Eure Inga aus der Superbude

 

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Inga Lankenau

Hallo liebe Gäste! Ich bin Inga und arbeite als freie Künstlerin, Illustratorin, Dozentin und als Bloggerin für die zauberschöne Superbude. Auf unserem Superbude-Blog könnt ihr mehr über unsere neuesten Frühstücksaufstrichsrezepte, unsere Lieblingsorte und -Veranstaltungen und über Hamburgerisches und Superbudiges erfahren.

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